Veränderung: Ungeplante Veränderungen – wie gehe ich damit um?

I: Willkommen zu „Von Achtsam bis Zuckerfrei“, dem Gesundheitspodcast der Audi BKK. In diesem Podcast widmen wir uns spannenden Themen rund um Geist und Körper. Hallo und herzlich willkommen. Schön, dass Du unseren Podcast eingeschaltet hast. Falls Du schon Staffel eins und zwei gehört hast, wird Dir noch bekannt sein, dass wir immer große Themen für je eine Staffel hatten. Ab jetzt widmen wir uns in spannenden Einzelfolgen jeweils einzelnen Themen, um eine größere Themenvielfalt abdecken zu können. Für die ersten beiden Folgen haben wir uns das Thema Veränderungen ausgesucht. In dieser ersten von zwei Folgen soll es darum gehen, wie ich mich verhalten kann, wenn etwas passiert, womit ich nicht gerechnet habe. Das können Kleinigkeiten, aber auch richtig große Schicksalsschläge sein. Dazu haben wir Amelie Schomburg eingeladen. Sie ist Psychologin und befasst sich viel mit dem Thema Veränderungen. Sie wird uns Praxistipps geben, wie wir bereits im Voraus etwas resilienter gegenüber Veränderungen werden können. Aber auch, wie wir damit umgehen können, wenn die Veränderungen bereits passiert sind. In der nächsten Folge wird es dann darum gehen, wie ich mich selbst motivieren kann Veränderungen herbeizuführen, die ich eigentlich gerne möchte, auch wenn der innere Schweinehund, oder Lebensumstände, die ich nicht so gut beeinflussen kann, mich davon abhalten. Aber warum sind Veränderungen eigentlich so ein großes Thema in unserem Leben? Wir wissen ja alle, dass das Leben alles andere als konstant ist. Oft verläuft es in Wellen. Manche Dinge können wir nicht beeinflussen, also nichts dagegen tun. Veränderungen, die nicht von uns selbst kommen bedeuten einen gewissen Kontrollverlust. Diesen Kontrollverlust mag, glaube ich, kein Mensch. Es ist viel schöner, wenn wir beeinflussen können, was passiert, wie wir damit umgehen, und zu welchem Zeitpunkt uns Dinge ereilen. Es ist also zunächst völlig natürlich, dass wir gegenüber Veränderungen nicht so aufgeschlossen sind. Oft konzentrieren wir uns dann nämlich auf das, was wir aufgeben müssen. Wir beschäftigen uns mit dem, was an negativen Konsequenzen damit einhergeht. Wir haben eventuell Angst uns zu blamieren, weil die neue Situation uns überfordert und wir nicht wissen, wie wir uns verhalten können. Außerdem ist es für unser Gehirn viel leichter Dinge zu erledigen, in denen wir gut und geübt sind. Erinnern wir uns doch an unsere erste Fahrstunde. Wie nervös war man, als man dort saß und plötzlich schalten und kuppeln sollte. Außerdem musste man zusehen, dass man niemanden überfährt. Heute setzt man sich einfach ins Auto und fragt sich, wie man überhaupt am Ziel angekommen ist, weil das schon so selbstverständlich ist. Neue Sachen verbrauchen also viel mehr Ressourcen in unserem Gehirn. Außerdem besteht immer die Möglichkeit, dass sich unsere Situation durch die Veränderung verschlechtert. Vielleicht sind wir gerade nicht rundum glücklich, aber es ist eigentlich ganz okay, wie es ist. Es besteht die Gefahr, dass durch die Veränderung eine Verschlechterung meiner Situation eintritt. Das ist ganz nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Trotzdem werden wir natürlich regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die wir nicht beeinflussen können. Das beginnt mit Kleinigkeiten. Zum Beispiel dann, wenn das Wetter schlecht ist, obwohl wir in den Urlaub wollen. Oder die Einkaufstüte reißt und alles purzelt durch die Gegend. Andere Menschen lassen ihre schlechte Laune an uns aus, obwohl wir ihnen absolut nichts getan haben. Vielleicht hege ich auch einen Kinderwunsch, der sich einfach nicht erfüllen möchte. Oder ich bin schwanger und hatte das eigentlich nie geplant. Wer hätte vor zwei Jahren mit der Covid-19-Pandemie gerechnet? Das Leben zeigt uns immer wieder, dass es voller Unberechenbarkeiten steckt. Damit die einen nicht jedes Mal aus der Bahn werfen, ist es sinnvoll, sich im Voraus damit zu befassen, wie man sich auf Veränderungen vorbereiten kann, damit man dann damit umgehen kann, wenn sie wirklich eintreten. Dafür begrüße ich jetzt die liebe Amelie Schomburg bei uns im Podcast. Willkommen liebe Amelie!

B: Hallo.

I: Vielen Dank, dass Du heute bei uns im Podcast zu Gast bist. Wie geht es Dir denn momentan persönlich mit der Situation, die ja ein perfektes Beispiel für diese Folge ist. Denn ich glaube, dass damit wirklich niemand gerechnet hat.

B: Mal besser, mal schlechter. Generell, glaube ich, ganz gut. Ich versuche mich manchmal ein bisschen von der Situation zu distanzieren, nicht jeden Tag Nachrichten dazu zu konsumieren, ein bisschen Abstand zu finden. Ich versuche dann, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich noch kontrollieren kann. Ich finde, dass das ganz gut hilft mit dem Gefühl des Kontrollverlusts umzugehen. Eigentlich also ganz okay.

I: Hast Du das Gefühl, dass Du als Psychologin gewappneter für die Situation bist?

B: Ein bisschen, ja. Das Studium selbst ist natürlich extrem theoretisch gewesen. Praktische Anwendungsbeispiele findet man da nicht ganz so viele. Aber dann habe ich noch weitere Fortbildungen gemacht. Sowas wie Coachingfortbildungen, noch viele andere kleine für mentale Stärke, Stressmanagement. Das hilft natürlich sehr. Andererseits ist es natürlich auch immer etwas anderes, ob man anderen Menschen etwas beibringt, oder es bei sich selbst anwendet. Das ist natürlich auch nochmal ein Unterschied. Das hilft schon einen Werkzeugkasten zu haben, auf den ich zurückgreifen kann.

I: Bei sich selbst ist es wirklich nochmal etwas anderes. Nutzt Du denn auch die Hilfe anderer?

B: Ich komme schon ganz gut mit mir selbst klar. Hilfe von anderen natürlich, indem ich mich Freund:innen und Familie zuwende. Professionelle Hilfe aber aktuell nicht.

I: Hat sich die Nachfrage nach psychologischer Betreuung verändert? Wirst Du häufiger hinzugezogen, wenn Leute alleine nicht mehr weiterkommen?

B: Veränderung ist gar nicht so sehr das Thema, weshalb Leute zu mir kommen. Ich merke aber schon, dass viele das Bedürfnis haben, weil sie denken, dass sie sehr negativ denken, mehr Optimismus benötigen oder es ihnen schwer fällt sich zu motivieren. Auch das ist ein großes Thema, weil wir dieses andere große Thema so sehr im Kopf haben, dass wir eventuell Schwierigkeiten haben uns auf Studium oder Arbeit zu konzentrieren. Ich merke also schon, dass da eine gewisse Motivationslosigkeit ist und mehr negative Gedanken und Gefühle, die bei vielen auftauchen. Der Optimismus geht bei vielen irgendwie verloren.

I: Kommen die Menschen schlechter damit klar, je länger die Veränderung andauert?

B: Ja. Auf jeden Fall. Viele haben das Gefühl, dass kein Ende in Sicht ist. Es weiß ja keiner, wann sich das wieder ändern wird. Da ist so eine Hoffnungslosigkeit oder Ermüdung, die immer wieder auftaucht.

I: Du beschäftigst Dich ja auch mit der positiven Psychologie. Das klingt ja erstmal ziemlich positiv. Kann mir das in der aktuellen Situation, oder generell bei Veränderungen, weiterhelfen?

B: Ja. In der klassischen Psychologie wird normalerweise geguckt, wie wir Menschen helfen können, die psychische Krankheiten haben, denen es wirklich gar nicht gut geht. Wie können wir denen helfen damit umzugehen? Depressionen, Angststörungen, usw. In der positiven Psychologie guckt man eher auf Menschen, denen es eigentlich gut geht, die also nicht psychisch krank sind. Aber nur, weil sie nicht psychisch krank sind, heißt es ja nicht, dass sie glücklich sind. Es heißt ja nicht, dass sie ein erfülltes Leben führen. Anstatt sich auf Defizite und Probleme und deren Lösungen zu konzentrieren, guckt man in der positiven Psychologie mehr, wie Stärken genutzt werden können. Es geht dann darum Fähigkeiten mehr auszuprägen, eine optimistischere Grundhaltung einzulegen und mehr Glück für das Leben zu ziehen. Es geht darum positive Emotionen auch zu verstärken, statt negative Emotionen loszuwerden.

I: Zu dem Thema habe ich mal einen Bericht gelesen. Das war jemand der selbst ganz lange wegen Depressionen in Therapie war. Der hat sich dann in der positiven Psychologie weitergebildet. Er prangert ein bisschen an, dass in der klassischen Psychologie immer in den Wunden gestochert wird und alte Traumata immer wieder durchlebt werden. Seine Aussage war, dass man dadurch ja gar nicht mit dem abschließen kann, was passiert ist. Wie ist Deine Meinung dazu?

B: Ja und nein. Man muss da schon unterscheiden. Wenn es um Traumata geht, finde ich schon auch wichtig diese aufzuarbeiten. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass das eigentlich gar nicht zielführend ist. Es ist aber auch nicht mein Spezialgebiet. Deshalb traue ich mich gar nicht zu sagen, dass das so und so gemacht werden sollte. Ich finde wichtig, dass wenn wir einen eigentlich gesunden Menschen vor uns haben, der Fokus weg muss von diesem Negativen. Wir haben das ja ganz automatisch. Wir konzentrieren uns immer auf all das, was nicht gut funktioniert, schlecht läuft. Wenn man sich das in der Evolution anschaut, ist es ja auch ganz logisch. Wir wollen ja überleben. Da müssen wir natürlich darauf achten, welche Gefahren es gibt. Aber für unser Wohlgefühl ist das nicht zielführend. Da ist es schon wichtig weg von dem Negativen zu kommen. Die Frage sollte eher sein: „Was hab ich denn Positives in meinem Leben?“, statt sich nur über Probleme aufzuregen, oder nur darauf zu achten. Der Fokus muss verändert werden. Zum Beispiel: „Okay. Mein Job ist nicht so super. Aber ich habe die besten Freund:innen und die tollste Familie.“ Der Fokus muss verändert werden. Das finde ich schon wichtig. Wenn wir den Fokus dann auf das Positive ändern und mehr positive Emotionen in unser Leben ziehen, verdrängen wir automatisch die negativen Emotionen. Dadurch werden wir die ein bisschen los.

I: Du hast von Verdrängen gesprochen. Das ist was, was man wahrscheinlich sehr gerne macht, wenn man traurig oder wütend ist. Ist es gut, solche Gefühle zu verdrängen?

B: Ich meine nicht damit, dass es darum ginge, negative Emotionen zu ignorieren. Das wäre falsch. Verdrängen von negativen Emotionen ist nicht zielführend. Wir sollten versuchen die anzunehmen und zu fühlen. Als Erwachsene verlernen wir das manchmal. Es ist sinnvoll zu erlernen, wie man sie ein bisschen verdrängen kann, damit wir nicht in einem Arbeitsmeeting in Tränen ausbrechen, auch wenn ich denke, dass auch sowas normalisiert werden sollte. Das ist aber ein anderes Thema. Was häufig passiert ist, dass wir beginnen unsere Emotionen wahrzunehmen, besonders die negativen. Die fühlen sich auch blöd an. Bei Kindern sehen wir das. Die fallen hin auf dem Spielplatz und schreien, als würde die Welt untergehen. Im nächsten Moment aber laufen die schon wieder freudestrahlend durch die Gegend, weil sie noch nicht versuchen ihre Emotionen zu unterdrücken. Sie erlauben sich das zu fühlen. Wenn wir uns den Raum geben Emotionen zu fühlen, verschwinden sie auch wieder schneller. Emotionen wollen gefühlt werden. Wenn wir diese negativen Emotionen nicht fühlen, dann klopfen die immer wieder an: „Hallo. Ich bin doch noch da! Ich will was von dir!“ Die haben ja auch eine Signalwirkung. Die wollen uns ja vor etwas schützen. Das heißt, dass sie immer wiederkommen. Das meine ich nicht mit Verdrängen. Das ist nicht die beste Methode. Was ich damit meinte ist, wenn wir mehr positive Emotionen in unser Leben ziehen, die negativen automatisch weniger auftauchen. Wenn die aber auftauchen, dann ist es wichtig sie zu fühlen.

I: Es ist also kein Verdrängen in dem Sinn, dass man es nicht zulässt, sondern geht es einfach nur darum den Fokus ein bisschen zu verschieben. Das habe ich in diesem Jahr auch erlebt, als ich meine eigene Hochzeit abgesagt habe. Nur die große Feier. Geheiratet wird trotzdem. Da dachte ich anfangs auch, dass ich nicht traurig sein darf, weil es ja auch Menschen gibt, denen es viel schlechter geht. Es ist wirklich ein Luxusproblem, wenn eine große Feier nicht stattfinden kann. Ich wollte diese Trauer am Anfang echt verdrängen und mir nicht eingestehen. Als ich es aber jetzt akzeptiert habe und mir sagte, dass es nicht lief, wie ich es plante, darüber darf ich traurig sein. Dann aber widme ich mich all den schönen Dingen, die jetzt möglich sind. Ich konzentriere mich darauf, wie schön und klein es werden kann. Und, worum es wirklich geht. Ich glaube, das ist genau das Beispiel, was Du gerade sagtest. Man nimmt die Gefühle an, probiert dann aber die positiven Dinge stärker zu sehen.

B: Genau. Ich finde selbst dann, wenn man eine Situation hat, wo man nichts Positives dran finden kann. Das gibt es ja auch. Diese Einstellung: Konzentriere Dich einfach immer auf das Positive - finde ich fast gefährlich. Klar, wenn man etwas findet, dann ist das super. Es gibt aber auch einfach Situationen, bei denen das nicht geht. Zum Beispiel verliert man einen geliebten Menschen. Da kann man einfach nichts Positives dran finden. Dann finde ich es auch völlig in Ordnung nichts Positives zu sehen und sich nur auf die Emotionen zu konzentrieren. Man kann dann eine positive Grundhaltung annehmen, in der man sich sagt, dass auch diese Phase vorbei gehen wird. Irgendwann wird es einem besser gehen und man kann mit der Situation besser umgehen. Das finde ich auch ganz wichtig. Man muss nicht immer was Positives an allem finden.

I: Gibt es denn eine Möglichkeit, wie ich mich bereits vorher auf Veränderungen vorbereiten kann? Es ist ja klar, dass immer wieder mal etwas passieren wird, was man so nicht geplant hat. Was kann ich tun, um da von Anfang an ein bisschen robuster zu werden?

B: Stichwort: Resilienz. Es geht darum, eine mentale Stärke aufzubauen. Menschen, die sehr stark, also resilient, sind, können mit Krisen und Veränderungen, die sie nicht selbst erzeugt haben, deutlich besser umgehen. Die stecken das deutlich leichter weg, selbst wenn es sehr starke Krisen sind. Im Zweifel wachsen sie noch daran. Resilienz aufzubauen, hilft uns mit Veränderungen und Krisen umzugehen. Das ist etwas, was man trainieren kann. Auch da gibt es nicht die eine Wunderpille. So ein paar Grundgedanken dazu sind beispielsweise: Ein entsprechendes soziales Netzwerk haben, ist wahnsinnig wichtig. Gute Freund:innen oder Familie, gute Kontakte. Ziele im Leben zu haben, ist sehr wichtig. Eine optimistische Grundhaltung ist wichtig. All diese Dinge führen dazu, dass wir mental stärker sind. Das kann dann dazu führen, dass wir auch mit Veränderungen deutlich besser umgehen.

I: Resilienz ist ja auch ein riesiges Thema. Dazu gibt es ganze Seminare. Wie finde ich da am besten einen Einstieg?

B: Komm in einen meiner Workshops (lacht). Nein, Spaß bei Seite. Es gibt ein paar tolle Bücher zu dem Thema. Generell gibt es in der positiven Psychologie wahnsinnig gute Literatur, die man sich dazu anlesen kann. Ich glaube, am wichtigsten an der Resilienz ist, für mich, immer noch der Optimismus. Den Optimismus kann man stärken. Man kann stärken, dass man eine optimistischere Grundhaltung einnimmt. Da finde ich am effektivsten die Dankbarkeit. Da geht es also darum den Fokus wieder auf das Positive zu legen. Man überlegt sich, was man Tolles im Leben hat, wofür man dankbar sein könnte. Das macht man sich dann regelmäßig bewusst. Wie schon am Anfang gesagt, wird da der Fokus weggenommen vom Negativen, von den Problemen.

I: Was ist, wenn es mir schwerfällt, so optimistisch in die Zukunft zu blicken? Man sagt ja manchmal, dass man als Optimist:in oder Pessimist:in geboren ist und sich das nicht verändern lässt. Stimmt das? Oder kann ich, auch wenn ich zum Pessimismus neige, trotzdem etwas daran ändern?

B: Da lässt sich tatsächlich etwas ändern. Es kommt auf die Charaktereigenschaften an. Menschen die neurotisch sind, sind ein bisschen pessimistischer beispielsweise. Das kann man aber auch üben. Durch diese Dankbarkeit, oder indem man sich immer wieder vor Augen führt, welche Erfolge man schon hatte, was man also im Leben schon alles geschafft hat. Wenn ich mir immer wieder klar mache, welche Ziele ich erreicht, oder welche Herausforderungen gemeistert habe, dann hilft mir das natürlich und gibt mir ein Gefühl gewappnet zu sein für die Dinge, die da noch kommen könnten, weil ich vielleicht schon Ähnliches in der Vergangenheit geschafft habe. Es ist also tatsächlich auch eine Trainingssache. Wenn man ein:e extreme:r Pessimist:in ist, wird man vielleicht nicht zum oder zur extremen Optimist:in, aber man kann es ein bisschen in die Richtung stärken.

I: Apropos extremer Pessimist: Was ist, wenn ich sage, dass ich in meinem Leben gar nichts habe, wofür ich dankbar bin und keinen Erfolg, den ich feiern könnte?

B: Dann finde ich das eher traurig. Ich glaube auch nicht, dass das wahr ist. Ich glaube, dass wir alle etwas haben, wofür wir dankbar sind oder Erfolge. Vielleicht sehen wir das einfach an manchen Tagen nicht. Vielleicht gibt es an manchen Tagen nur eine Kleinigkeit, für die ich dankbar bin. An schlechten Tagen ist es vielleicht nur der gute Kaffee, den ich morgens getrunken habe. Ich glaube aber auch, wenn ich für mich feststelle, dass es wochenlang nichts gibt, wofür ich dankbar sein könnte, wäre das für mich ein Zeichen, dass man sich vielleicht professionelle Hilfe suchen sollte.

I: Das ist ja tatsächlich ein sehr krasser Fall. Da würde ich auch immer dazu ermuntern, sich professionelle Hilfe zu suchen. Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Auch dann, wenn einem die eigene Lage ausweglos erscheint, wird man überrascht sein, was alles möglich ist und wie viel mehr Lebensqualität man wiedererlangen kann, wenn man sich diesen Problemen mit professioneller Unterstützung stellt.

B: Ja. Ich habe das Gefühl, dass wir uns alle eher zu spät als zu früh Hilfe holen. Zum oder zur Zahnärzt:in gehen wir ja auch prophylaktisch, um zu wissen, ob alles in Ordnung ist. Bei der mentalen Gesundheit machen wir das leider nicht, sondern gehen dann erst hin, wenn es uns wirklich schlecht geht. Wir gehen also quasi erst, wenn die Zähne schon weh tun. Ich denke, dass wir alle viel früher dahin gehen sollten, als wir es vielleicht für nötig halten. Ich glaube auch, oft haben einige das Gefühl, dass es so schlimm ja noch nicht ist. Die denken sich dann, was ist, wenn sie den Therapieplatz von jemandem nehmen, der ihn wirklich bräuchte. Auch das ist, finde ich, ein ganz falscher Gedanke. Wir alle haben das Recht dazu uns Hilfe zu holen. Es ist auch eine Form davon Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, wenn man merkt, dass man da alleine nicht rauskommt.

I: Da auch noch der Ratschlag: Manchmal macht man einen Termin mit einem oder einer Therapeut:in aus, weil man ein akutes Problem hat. Wenn man dann aber auf einer halbjährigen Warteliste landet, kann es sein, dass beim eigentlichen Termin die Grundsituation schon viel besser ist und man sich denkt, dass man es nicht mehr bräuchte. Manche sagen da den Termin ab, weil jemand anderes den Termin dringender brauchen könnte. Das ist ja aber oft ein wellenartiger Verlauf. Ich würde immer dazu raten, auch in dieser etwas besseren Phase den Termin wahrzunehmen, damit man auf die nächste Veränderung vorbereitet ist.

B: Ja. Ich glaube, dass wir alle prophylaktisch und regelmäßig zur Therapie gehen sollten. Das sollte, finde ich, ein normales Thema sein, so wie ich regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung bei anderen Ärzt:innen gehe. So sollte ich das auch bei meiner mentalen Gesundheit machen.

I: Widmen wir uns jetzt mal dem absoluten Gegenteil der Pessimistin, des Pessimisten von eben. Nehmen wir mal eine Person, die keine Sorgen hat, sehr froh in die Zukunft blickt, oder gar nicht in die Zukunft blickt, weil sie einfach im Hier und Jetzt lebt. Ist das besser?

B: Das kommt darauf an. Diese Einstellung, dass alles gut wird, finde ich erstmal nicht schlecht. Wenn die Person aber denkt, dass ihr nie etwas Schlimmes passiert, dann ist das auch wieder falsch. Eine optimistische Einstellung zu haben, heißt also nicht, dass man davon ausgeht, dass alles zu 100 Prozent im Leben klappen wird und es keine Schicksalsschläge geben wird. Wenn sie nämlich dann passieren, ist es ganz besonders schlimm, weil man dann denkt, dass die Welt aus allen Fugen fällt. Dann weiß man gar nicht, wie man damit umgehen soll. Das ist auch nicht richtig. Ideal wäre also so ein Mittelweg. Man denkt also generell alles wird gut und auch schlechte Phasen gehen vorbei. Man weiß aber auch, dass schlechte Phasen zum Leben dazu gehören. Es passieren Dinge, die man nicht kontrollieren kann, die einem nicht gefallen und sich nicht gut anfühlen.  Das ist völlig normal. Wenn man das weiß, dann fällt es natürlich auch leichter damit umzugehen.

I: Kommen wir mal zu einem Beispiel für eine eher kleine ungewollte Veränderung: Vielleicht wird auf der Arbeit eine Software eingeführt. Ich kenne mich prima mit einer alten Software aus. Jetzt soll aber über alle Geschäftsstellen hinweg, die gleiche Software genutzt werden. Das ist aber leider eine andere, als wir sie bisher benutzt haben. Das finde ich voll unfair, weil es für mich selbst gar keinen Vorteil bietet, dass alle die gleiche Software nutzen. Warum also soll ich mich da einarbeiten, obwohl ich die andere Software echt gut konnte?

B: Das ist ein witziges Beispiel. Eigentlich komme ich nämlich aus der Unternehmensberatung. Ich glaube, dass der erste Schritt wäre zu gucken, was es mit mir macht, wenn ich jetzt zehn Jahre dort arbeitete und dann eine neue Software kommt. Denn es ist völlig natürlich, dass für mich ein Gefühl des Verlusts kommt. Wir haben einfach das Grundbedürfnis nach Orientierung und Kontrolle. Das ist ein normales menschliches Grundbedürfnis. Man denkt von außen betrachtet vielleicht, dass es nur eine Software ist, für den Einzelnen ist es aber ein Kontrollverlust, weil man sich verändern muss. Verändern ist immer unangenehm. Ich würde also erstmal gucken, was das mit mir macht. Welche Emotionen löst das in mir aus? Dann würde ich so viel wie möglich versuchen über diese Software rauszufinden. Hat es vielleicht sogar Vorteile für mich? Welche Nachteile hat es für mich? Vielleicht habe ich ja Dinge daran noch gar nicht gesehen, die eventuell sogar positiv für mich sein könnten, weil ich bessere Benutzeroberfläche habe und es viel besser funktioniert, oder so. Ich gucke mir das an. Wenn ich dann aber feststelle, dass es nur Nachteile für mich hat, kann ich natürlich gucken, ob ich daran etwas ändern kann. Kann ich an der Situation etwas ändern? Das könnte bedeuten, dass ich zu meinen Vorgesetzten gehe und ganz klar auf den Tisch lege, was an dieser Software nicht so toll ist und welche Nachteile es haben könnte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Entscheidungen oft von oben gefällt werden, ohne zu bedenken, was das für den Arbeitsalltag bedeutet. Die Endnutzer:innen haben dafür ein viel besseres Gefühl. Dieses Feedback ist auch wichtig für Vorgesetzte, damit sie Dinge sehen, die sie vorher nicht bedacht haben. Wenn aber auch das nichts bringt, muss ich mir überlegen, ob ich trotzdem noch da arbeiten kann, ob ich mit der Situation umgehen kann. Oder entziehe ich mich der Situation im Zweifel sogar? Ich kann auch darüber nachdenken, wie das in der Vergangenheit für mich war, etwas komplett neu zu lernen und wie das für mich war. So kann man sich klar machen, dass man in der Vergangenheit schonmal etwas Ähnliches geschafft hat.

I: Das ist ein wirklich wichtiger Punkt. Man schaut erstmal, ob es vielleicht ungeahnte Vorteile gibt. Wenn man absolut keine findet, wendet man sich einfach nochmal an die Geschäftsführung und sagt: „Ist das wirklich der richtige Schritt? Habt Ihr hier alles bedacht? Oder seht Ihr das vielleicht ein bisschen einseitig?“ Kommen wir nochmal zu einem krasseren Beispiel: Wir sind in einer Beziehung und es läuft alles gut, denken wir. Aus heiterem Himmel macht unser Gegenüber Schluss und offenbart uns, dass wir die letzten Monate bereits betrogen worden sind. Das komische ist, dass es echt furchtbar ist, ich aber gar nichts fühlen kann im Moment. Ist das normal?

B: Ich glaube, dass da jeder anders mit umgeht. Jede Reaktion darauf ist normal. Was ist schon normal? Wir reagieren ja alle unterschiedlich. Gerade die Tatsache, dass ich das erstmal nicht wahrhaben möchte und nicht emotional reagiere, ist völlig normal. Wir brauchen einen Moment, um das Ganze zu verarbeiten. Auch so eine Trennung ist ein wahnsinniger Verlust. Das ist ein Kontrollverlust, eine Orientierung, die verloren geht. Gerade da ist ein Grundbedürfnis von uns dabei: Das Bedürfnis nach Bindung. Da fällt ein:e Partner:in weg. Zusätzlich finden wir dann heraus, dass wir in den letzten sechs Monaten betrogen worden sind. Das stellt natürlich alles wieder in Frage. Auch die Bindung zu der Person. Es ist ganz normal, dass wir da erstmal Zeit brauchen das zu verarbeiten.

I: Es ist beruhigend zu wissen, dass das auf jeden Fall völlig normal sein kann. Ebenso normal kann es aber auch sein, dass man sofort eine intensive Emotion hat. Jeder Mensch ist anders. Sowas lässt sich niemals pauschalisieren. Egal wann: Ich bin jetzt bei dieser starken Emotion angekommen. Ich bin total wütend, traurig und habe einfach keinen Plan, wie ich weitermachen soll.

B: Auch da wieder: Die Emotion zulassen und anerkennen, dass es eine Phase ist, in der es mir nicht gut gehen wird. Es ist völlig normal auch um eine Beziehung zu trauern. Es ist auch ganz wichtig, das zu verarbeiten. Wenn ich dann aber das Gefühl habe, dass mich das so sehr einschränkt, weil es schon so lange geht, kann man auch gucken, ob man sich beispielsweise Hilfe holt von außen, um mit der Trauer umzugehen. Generell aber erstmal sich selbst erlauben alles zu fühlen. Alles das, was hoch kommt zulassen.

I: Sollte ich darüber auch mit meinem Umfeld reden? Oder sollte ich die lieber nicht damit belasten?

B: Ja. Natürlich ist es immer gut sich Freund:innen anzuvertrauen. Auch da wieder das Grundbedürfnis nach Bindung, da einfach zu unseren Freund:innen. Es ist natürlich wichtig, dass wir das da erfüllen und sich auf Vertraute zu verlassen. Das sollte man auch nutzen, um es zu verarbeiten.

I: Die Trennung ist jetzt bereits eine Weile her. Ich konnte auch großartig mit meinem Umfeld darüber sprechen. Obwohl es schon so lange her ist, fühle ich mich immer noch regelmäßig wütend und traurig. Wenn ich das aber bei meinem Umfeld anspreche, habe ich das Gefühl, dass die alle schon mit den Augen rollen, damit ich endlich mit dem Thema abschließen kann. Hast Du einen Rat für mich?

B: Andere Freund:innen suchen (lacht). Das war ein Spaß. Ich kann natürlich nachvollziehen, wenn die Freund:innen irgendwann sagen, dass sie nicht immer wieder dieses Thema durchkauen wollen. Das ist eventuell auch ein Zeichen dafür, dass ich mir überlegen sollte, dass ich ja schon sehr lange darin hänge. Meine Freund:innen können das nicht immer konstant für mich abfangen. Dann sage ich mir ich suche entweder professionelle Hilfe in Form von Therapie oder ich schaue, ob ich nicht eventuell andere Menschen finde, die durch etwas Ähnliches gehen und vielleicht ein anderes Verständnis dafür haben als meine Freund:innen, die eben nicht die gleiche Herausforderung wie ich haben.

I: Das stimmt. Das ist natürlich jetzt auch keine so schöne Situation. Ich muss aber auch Verständnis für die Rolle meiner Freund:innen haben. Sie sind nicht meine Therapeuten und darauf spezialisiert mich darin zu unterstützen.

B: Genau. Soziale Kontakte sind sehr wichtig. Professionelle Unterstützung kriegt man von denen natürlich nicht. Sehr wichtiger Punkt, ja.

I: Ich habe es vorhin schon kurz angerissen. Was ist, wenn ich noch so in meiner Trauer bin, dass mir der Ratschlag etwas Positives zu finden, einfach wie blanker Hohn vorkommt? Ich war beispielsweise mal auf einem Seminar. Da haben wir uns auch dieser Frage gewidmet. Da ist eine Frau aufgestanden und sagte, dass ihr Sohn gestorben sei. Sie wisse einfach nicht, was sie daran Positives finden soll.

B: Ich finde diese Ratschläge ganz schlimm, dass man immer etwas Positives finden muss. Oder dieses: „Ach komm, es ist doch nicht so schlimm. Stell Dich nicht so an. Anderen geht es noch schlechter als Dir.“ Das ist auch ganz schlimm. Leid kann man nicht mit Leid vergleichen. Das nennt sich dann toxische Positivität. Das ist auch nicht zielführend. Ich glaube nicht, dass wir immer etwas Positives an allem finden müssen. Das sagte ich vorhin auch schon. Wie jetzt bei der Frau: Den Sohn zu verlieren. Was ist daran denn positiv? Natürlich fühlt sich das dann nochmal doppelt ungut an, wenn Freund:innen und Familie sagen, dass man sich auf das Positive konzentrieren soll. Das ist ja ein Verhöhnen. Was ich aber wichtig finde ist, dass ich mindestens das Grundgefühl habe, dass es irgendwann wieder besser wird. Auch dann, wenn man jetzt in dieser Trauer steckt und nichts Positives findet. Es sollte trotzdem die Haltung da sein, dass es zwar jetzt schlimm ist und man sich echt schlecht fühlt, aber man weiß, dass es irgendwann besser werden wird. Wenn ich das Gefühl habe, dass das nicht so wird und denke, dass ich mich das ganze Leben lang so schlecht fühlen werde, wie ich mich fühle, sollte ich gucken, dass ich mir Unterstützung hole. Ich glaube, dass es auch da darauf ankommt, was der Auslöser dafür war. Ich glaube, Trauer um einen geliebten Menschen ist spezieller, als wenn man seinen Job verliert, oder anderes Negatives. Trauer ist ein sehr spezielles Thema. Da würde ich mir vielleicht eine Selbsthilfegruppe zu dem Thema, oder eine therapeutische Unterstützung, suchen.

I: Das stimmt. Es ist auch immer ein ganz individueller Prozess. Jeder verarbeitet das anders. Jeder geht anders mit Veränderungen um. Es ist wichtig, dass man sich nicht irgendwie verbiegt. Es ist gut, dass ich mich auf das konzentriere, was ich positiv sehen kann, aber: Alle Gefühle sind da, um gefühlt zu werden. Hast Du noch einen abschließenden Rat, oder einen Denkanstoß für unsere Hörer:innen?

B: Ich glaube, dass ich das Meiste schon gesagt habe. Wenn es um Veränderungen geht, ist am wichtigsten in einem ersten Schritt zu akzeptieren, dass sie zum Leben dazu gehören. Veränderung ist das einzig Konstante, was wir im Leben haben. Es ist normal. Es ist aber auch normal, dass sie negative Emotionen auslösen und uns manchmal Angst machen. Wir müssen diese negativen Emotionen auf keinen Fall verdrängen, sondern dürfen sie annehmen.

I: Liebe Amelie: Mir bleibt dann nur noch Dir zu danken für Deine Zeit. Danke, dass Du diese Inhalte mit unseren Hörer:innen geteilt hast. Wir wissen jetzt also ein bisschen besser, wie wir mit Veränderungen umgehen können, die uns überraschen. Was ist aber, wenn wir etwas ändern wollen, es uns aber einfach nicht gelingt? Zum Beispiel: Komplizierte Lebensumstände, der innere Schweinehund. Die Gründe können wirklich vielfältig sein. In der nächsten Folge geht es deshalb darum, wie uns das trotzdem gelingen kann. Dir gefällt unser Podcast? Dann gib uns gerne eine Bewertung auf einem Podcast-Player Deiner Wahl. Auch an ehrlicher Kritik sind wir interessiert. Bis dann in einem Monat.

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