Leistungsdruck und Burnout – was tun?

Ilka Brühl: Herzlich Willkommen zu ‘Von Achtsam bis Zuckerfrei’, dem Gesundheits-Podcast der Audi BKK. In diesem widmen wir uns einer Vielzahl an Themen, die Körper und Geist betreffen. Mit den eigenen Überstunden anzugeben, gehört ja schon fast zum guten Ton in der Arbeitswelt: Es zeugt von Fleiß und Disziplin – Werte, die Arbeitgebende noch immer gerne sehen und die sich positiv auf den weiteren Karriereverlauf auswirken. Wer nach der Regelarbeitszeit geht, hört sich häufig Sprüche an wie: “Na, du arbeitest auch nur noch Teilzeit, oder?” Aber natürlich spielt nicht nur die reine Arbeitszeit eine wichtige Rolle – der Arbeitsalltag wird immer komplexer: Wer da mithalten möchte, steht dauernd neuen Anforderungen gegenüber und muss sich in neue Themenkomplexe einarbeiten. Doch als wäre das nicht genug, ist auch unser Privatleben immer durchgetakteter – Freizeitstress ist ein reales Problem: Gar nicht so einfach, in dieser schnelllebigen Welt voller Ansprüche allem gerecht zu werden. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen über Leistungsdruck klagen. Deshalb gehen wir dem Thema in dieser Folge auf den Grund. Dafür haben wir Sarah Victoria Kunz eingeladen: Sie ist Psychologin, Systemische Beraterin, sowie Burnout- und Stresspräventionscoach. Und wir reden heute über Stress, Burnout und Leistungsdruck. Herzlich willkommen, Sarah: Wie gestresst bist du denn selbst gerade?

Sarah Victoria Kunz: Vielen Dank, liebe Ilka. Hallo auch an alle Hörerinnen und Hörer. Tatsächlich komme ich gerade frisch aus meinem Sommerurlaub, insofern bin ich relativ gut erholt und wenig gestresst. Aber natürlich stapeln sich auch bei mir nach dem Urlaub so ein paar Dinge und auch beruflich stehen gerade einige wichtige Entscheidungen an, insofern gibt es in meinem Alltag schon auch stressigere Momente. Die bleiben also auch einem Stresscoach nicht ganz verwehrt, was aber auch okay ist, denn in gewisser Weise lässt einen so ein Stress ja auch lebendig fühlen. Wichtig ist mir nur, dass dieser Stress nicht zum Dauerstress wird und dass ich da für mich eine gute Balance finde, und da bin ich schon auf einem guten Weg.

Ilka Brühl: Das freut mich wirklich sehr für dich und es klingt absolut nachvollziehbar. Da nehmen wir doch schon mal einen Punkt mit: Stress ist per se nicht so schlimm, er sollte nur nicht im Übermaß vorkommen. Aber wie entsteht Stress denn eigentlich?

Sarah Victoria Kunz: Also wichtig zu nennen ist hier, dass es grundsätzlich nicht nur den negativen, sondern auch einen positiven Stress gibt. Also positiver Stress bedeutet, dass wir in einer guten Aufregung sind, also zum Beispiel, wenn wir verliebt sind oder etwas schaffen beziehungsweise etwas gestalten. Und dieser Zustand ist körperlich gesehen tatsächlich ziemlich ähnlich dem negativen Stress, der ja meistens gemeint ist, wenn wir im Alltag von Stress sprechen. Und dieser negative Stress ist immer mit einer Unterforderung oder einer Überforderung verbunden und löst ein Gefühl der Hilflosigkeit aus, also ein Gefühl, die jeweilige Situation nicht kontrollieren zu können. Und dieses Gefühl der Hilflosigkeit führt zu einem innerlichen Stress. Und da wären wir auch schon beim nächsten Punkt, nämlich dass Stress immer subjektiv, also individuell, ist. Das heißt, es ist nie die Person oder die Situation selbst, die zu Stress führt, sondern immer das, was du selbst aus der jeweiligen Situation machst: Du kommst also immer dann in Stress, wenn du selbst subjektiv bewertest, dass du eine Situation, aus welchen Gründen auch immer, nicht bewältigen beziehungsweise nicht kontrollieren kannst. Und das sind die zwei wichtigsten Merkmale in Bezug auf Stress: Also das Gefühl der Hilflosigkeit und die Subjektivität beziehungsweise die Individualität von Stress.

Ilka Brühl: Beide Faktoren finde ich absolut nachvollziehbar. In meinem subjektiven Empfinden ist es so, dass Leistungsdruck Stress oft noch verstärkt: Ist das so? Und wenn ja, wo kommt dieser ständige Leistungsdruck her?

Sarah Victoria Kunz: Grundsätzlich ist das richtig. Natürlich haben sich durch die Globalisierung unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verändert, besonders diese ständige Verfügbarkeit über WhatsApp, E-Mail oder soziale Medien: Das stellt natürlich für jeden einzelnen von uns neue Herausforderungen in Bezug auf den Umgang mit Stress dar. Das Trügerische ist, dass dieser Begriff Leistungsdruck aus meiner Sicht oft falsch interpretiert wird: Das hört sich eher an, als käme ein Druck zu irgendeiner bestimmten Leistung von außen, also zum Beispiel eine einzuhaltende Frist. Aber für die Entstehung von Leistungsdruck, der ja folglich Stress auslöst, sind nicht zu viel Arbeit, zu viel Verantwortung oder irgendwelche Fristen zuständig: Stress entsteht, wie vorher genannt, aus einem Gefühl der Hilflosigkeit heraus und ist individuell. Und dasselbe gilt natürlich auch für Leistungsdruck: Es ist niemals die Situation selbst, die zu Stress oder zu Leistungsdruck führt, sondern immer das, was du selbst aus der Situation machst. Und demzufolge kommt Leistungsdruck hauptsächlich aus deinem Inneren: Du schaffst ihn dir selbst durch deinen individuellen Umgang mit der Situation. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Leistungsdruck, Stress und Burnout genauso auch außerhalb des beruflichen Kontextes auftreten können und auch auftreten.

Ilka Brühl: Das dürften die meisten Menschen daher kennen, dass sie die gleiche Situation manchmal sehr stresst, wenn vielleicht auch die Randbedingungen so sind, dass wir gerade viel um die Ohren haben, und manchmal schaffen wir es, uns das aber nicht so zu Herzen zu nehmen, und bleiben trotzdem locker und entspannt, das ist absolut nachvollziehbar. Und dass das nicht nur im Arbeitsalltag geschieht, dürften mittlerweile auch sehr viele Menschen erfahren haben: Nicht umsonst gibt es ja den Begriff des Freizeitstresses. Aber wie wird denn aus all dem jetzt beispielsweise ein Burnout?

Sarah Victoria Kunz: Diese Frage finde ich tatsächlich ganz besonders spannend zu beantworten: Frau Doktor Miriam Prieß hat dazu ein sehr spannendes Buch mit dem Titel ‘Burnout kommt nicht nur von Stress’ veröffentlicht, in dem sie unter anderem, wie ich finde, wunderschön die tatsächlichen Ursachen eines Burnouts beschreibt. Und dabei stellt sie fest, dass alle Betroffenen eine Gemeinsamkeit aufweisen, und diese Gemeinsamkeit sind schlechte Beziehungen, also entweder konfliktreiche Beziehungen oder gar keine sozialen Kontakte mehr. Zudem trifft auf alle Betroffenen zu, dass jeder die Beziehung zu sich selbst verloren hatte. Und es ist aus meiner Sicht einer der zentralsten Faktoren, die zu einem Burnout führen: Eine schlechte Beziehung zu sich selbst. Und um eine gute Beziehung zu sich selbst zu führen, braucht es einen gesunden, liebevollen Dialog mit sich selbst. Und auch den haben Burnout-Betroffene völlig verloren oder gar nie besessen. Und um diesen liebevollen Umgang mit sich selbst zu finden oder wiederzufinden, muss man erst mal mit der eigenen Identität vertraut sein, also die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen können. Nur dann ist es möglich, sein eigenes Handeln so auszurichten, dass es den eigenen Bedürfnissen und auch dem eigenen Wesen und der eigenen Identität entspricht: Das ist die Grundvoraussetzung für Gesundheit. Und natürlich gibt es Gründe, warum jemand diese Beziehung zu sich selbst verliert, das passiert nie einfach so, dazu entscheiden wir uns nicht bewusst: Niemand entscheidet sich bewusst dazu, Jahre oder Jahrzehnte seine Grenzen zu überschreiten. Und diese Gründe gilt es dann im Verlauf einer Behandlung herauszufinden.

Ilka Brühl: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber wenn ich mich jetzt mal so in meinem Umfeld umschaue und mir Burnout-Betroffene ansehe, dann trifft das tatsächlich zu. Was sind denn Anzeichen für ein Burnout und was ist vor allem der Unterschied zu einer Depression? Das ist mir jetzt gar nicht so klar.

Sarah Victoria Kunz: Es gibt natürlich eine wahnsinnig große Vielfalt an Anzeichen eines Burnouts auf unterschiedlichen Ebenen, also auf körperlicher, seelischer und auch auf geistiger Ebene. Die vollständige Aufzählung aller Symptome würde hier natürlich völlig den Rahmen sprengen, deshalb beschränke ich mich jetzt mal auf die vier Hauptmerkmale eines Burnouts. Burnout-Betroffene haben das Gefühl, dauerhaft körperlich oder emotional entkräftet und ausgelaugt zu sein. Ich glaube, das ist auch das Symptom, was die meisten mit einem Burnout verbinden, also diese völlige Erschöpfung beziehungsweise das ausgebrannt sein. Meistens haben sie eine distanzierte, gleichgültige Einstellung gegenüber ihrer beruflichen Tätigkeit entwickelt, obwohl sie vorher einen extrem hohen, meist zu hohen Einsatz gezeigt haben. Aus meiner Sicht kann man das auch genauso auf den privaten Kontext übertragen. Außerdem haben Burnout-Betroffene meist ihr Selbstvertrauen völlig verloren. Burnout-Betroffene sind meistens sehr perfektionistisch und deswegen nehmen sie auch ihre Erfolge nicht als solche wahr: Sie erleben also nur in sehr hohem Maße Misserfolg. Und das letzte Anzeichen eines akuten Burnouts ist wohl diese völlige Ohnmacht, also ein Gefühl der völligen Hilflosigkeit und des Kontrollverlustes: Betroffene agieren nicht mehr, sie reagieren nur noch. Und die Abgrenzung zu einer Depression ist tatsächlich ziemlich schwierig: Da wird auch nach wie vor von vielen Fachleuten diskutiert, ob ein Burnout nicht möglicherweise auch eine Unterform einer Depression darstellen könnte. Es gibt ja auch hochfunktionale Depressionen, in denen sich die Betroffenen dann zwar innerlich leer fühlen, jedoch nach außen hin sehr aktiv sind, was viele Parallelen zu bestimmten Burnout-Phasen hat. Und auch die Symptome eines aktiven Burnouts, also des völligen Rückzugs, sind ziemlich ähnlich zu einer schweren Erschöpfungsdepression. Wenn ich jetzt trotzdem aus meinem Gefühl heraus einen Unterschied zu einer Depression nennen sollte, dann wäre es vermutlich, dass das Hauptsymptom eines Burnouts die Erschöpfung ist, während das Hauptsymptom einer Depression die Entwertung des Selbst ist.

Ilka Brühl: Dann bin ich mal gespannt, was die Forschung der nächsten Jahre und Jahrzehnte da noch so bringt. Wie lange dauert so ein Burnout denn ungefähr an?

Sarah Victoria Kunz: Die Dauer eines Burnouts ist total individuell, weil es sich ja um einen schleichenden Prozess handelt: Im Laufe eines Burnouts durchläuft man ja einige verschiedene Phasen, die alle für sich unterschiedlich lange andauern können. Mit diesem Begriff des Burnouts wird ja meistens fälschlicherweise nur dieser völlige Zusammenbruch beziehungsweise die völlige Erschöpfung verbunden, also die Phase, in der sozusagen fast gar nichts mehr geht. Allerdings sind ja auch die vorherigen Phasen Teil eines Burnouts und deshalb ist es natürlich grundsätzlich schwierig zu sagen, wann er überhaupt begonnen hat und wann ein Burnout tatsächlich als überstanden gilt: Das kann sich von ein paar Monaten bis hin zu Jahrzehnten erstrecken.

Ilka Brühl: Auch das ist also mal wieder eine sehr individuelle Angelegenheit. Wie viele Menschen in Deutschland sind denn ungefähr davon betroffen?

Sarah Victoria Kunz: Das ist tatsächlich relativ schwer zu sagen, weil es eben keine Diagnose für ein Burnout gibt. Das heißt, eine Person mit Burnout, die sich in psychotherapeutische Behandlung begibt, wird zwangsläufig eine andere, beispielsweise mit dem Burnout zusammenhängende Diagnose bekommen, was ich ja vorher schon gesagt hatte. Betroffene werden also in der Statistik nicht als Burnout-Betroffene, sondern zum Beispiel als depressive Person gezeigt. Deshalb sind aus meiner Sicht die vorliegenden Statistiken auch nur relativ schwer zu interpretieren: Gezählt werden da halt häufig Personen mit ganz bestimmten Klassifizierungen im ICD-10, die jedoch längst nicht alle Betroffenen beinhalten. Ich habe mal recherchiert und es gibt zum Beispiel Hochrechnungen aller gesetzlich versicherten Beschäftigten für 2020, die 180.000 Burnout-Betroffene mit 4.500.000 Krankheitstagen zählen. Und wie gesagt, aus meiner Sicht beinhaltet das längst nicht alle Betroffenen. Die WHO stuft Stress mittlerweile als eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts ein und da sehe ich schon einen sehr großen Handlungsbedarf.

Ilka Brühl: Ich merke schon, dass rund um das Thema Burnout noch so einiges ungeklärt ist. Wie kann ich aber ein solches denn nun behandeln?

Sarah Victoria Kunz: Ein Burnout ist ja ein multifaktorielles Geschehen: Also es betrifft nicht allein den Körper, sondern viele Symptome auf verschiedenen Ebenen. Und die Vielfältigkeit dieser Symptomatik erfordert natürlich auch die Einbeziehung der betroffenen Ebenen in die Behandlung, also dem Körper, der Seele und dem Geist. Und wenn eine dieser drei Ebenen vernachlässigt wird, dann wird der Erfolg der Behandlung möglicherweise nicht nachhaltig sein. Die meisten glauben nach wie vor, dass ein Burnout allein von zu viel Arbeit und folglich auch von zu viel Stress kommt. Deshalb gibt es in den meisten Ratgebern auch eine Flut an Ratschlägen zu weniger Arbeit und weniger Stress, zum Beispiel durch Stressbewältigungsstrategien, was zu einem gewissen Zeitpunkt der Behandlung und ganz besonders präventiv auch wichtig und richtig ist. In meiner Arbeit bemerke bemerke ich allerdings, dass diese Punkte alleine die Ursache des Problems nicht lösen: Oft werden da Symptome wie beispielsweise zu wenig Pausen, zu wenig Freizeit oder zu viel Arbeit für die Ursachen gehalten und die Lösung darauf basierend dann in irgendwelchen rationalen Erkenntnissen oder in einer reinen Verhaltensänderung gesucht. Aber die Realität zeigt, dass das alleine nicht ausreicht: Ein Burnout entsteht nicht im Verstand und kann deshalb auch nicht alleine durch den Verstand, also rein rational, gelöst werden. Vielmehr sind die meisten Burnout-Betroffenen hochintelligent und wissen in der Theorie auch, wie sie sich verhalten müssten, um gesund zu werden. Ich glaube, eine große Herausforderung und auch ein Trugschluss unserer westlichen Gesellschaft ist, dass es als eine Stärke gilt, ein rationaler Typ Mensch zu sein: Wir versuchen, alle unsere Probleme alleine in unserem Verstand, also gedanklich, zu lösen. Und je mehr wir das tun, desto mehr verlieren wir den Zugang zu unserem Gefühl und damit dann auch den Zugang zu unseren Bedürfnissen. Genau dieses Rationalsein, auf das viele Menschen bei uns so stolz sind, ist Teil vieler psychischen Erkrankungen. Um sich auf den Weg hin zu Gesundheit zu bewegen, ist es aus meiner Sicht insbesondere nötig, die genannten Konflikte und Glaubenssätze aufzuspüren und aufzulösen sowie zu lernen, die Vielfalt der eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, um auch die eigene Identität kennenzulernen.

Ilka Brühl: Das knüpft ja auch wieder sehr gut daran an, was du am Anfang meintest, dass viele von uns die Beziehung zu sich selbst verloren oder nie besessen haben. Was kann man denn kurzfristig tun?

Sarah Victoria Kunz: Das ist natürlich abhängig davon, in welchem Burnout-Stadium beziehungsweise in welcher Lebenssituation man sich befindet: Wenn es schon zu einem akuten Burnout, also dieser völligen Erschöpfung gekommen ist, dann ist natürlich auch erst mal eine professionelle Einschätzung und möglicherweise auch eine stationäre Stabilisierung nötig. Wenn es aber noch nicht dazu gekommen ist, dann können kurzfristig beispielsweise auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen sehr gut helfen: Die sind recht schnell umsetzbar und verschaffen kurzfristig ebenso eine recht schnelle Verbesserung der Symptome. Das können dann zum Beispiel eine klassische Psychotherapie oder andere Beratungs- und Therapieangebote sein, wobei es aber auch super viele interessante Kurse und Workshops, teils auch online oder über Social Media, gibt. Und falls es um ein grundsätzliches Verständnis der Erkrankung geht, dann kann natürlich auch erst mal Literatur helfen. Bei mir gibt es immer zwei Themen, an denen ich mit den meisten Klienten relativ zu Beginn der Behandlung arbeite, weil sie eigentlich für die gesamte Behandlung eine große Rolle spielen. Das ist zum einen der schon ein paar Mal erwähnte innere Dialog: Also wie spreche ich mit mir selbst innerlich und welche Beziehung führe ich mit mir selbst? Und zum anderen sind es Entspannungsverfahren. Meine Lehrerin, Maya Ebinger, sagt immer: “Du musst eine Möglichkeit für dich finden, deinen See ruhig zu halten.” Ich finde, das trifft es sehr gut: Kurzfristig und präventiv ist es einfach nötig, individuelle Strategien zu finden, um den Geist ruhig zu kriegen, also gedanklich abzuschalten. Dafür gibt es leider keine allgemeingültige Anleitung: Also was für eine Person gut ist, kann für eine andere überhaupt nicht funktionieren, und was an einem Tag für dich gut ist, kann an einem anderen auch schon wieder nicht für dich funktionieren. Da ist es einfach wichtig, dranzubleiben und in einem guten Kontakt mit dir selbst zu sein, also dich jeden Tag aufs Neue zu fragen, was jetzt gerade gut ist. Wenn ich einem erschöpften Klienten sage, er soll dreimal die Woche Yoga machen, dann wird es nicht funktionieren: Burnout-gefährdete Menschen sind ja häufig sehr verkopft, was bedeutet, dass sie bei den ersten Versuchen einer Entspannungsübung meistens total abschweifen, also zurückverfallen in ihren Gedankenstrudel. Deshalb nenne ich die Übungen, die ich den erschöpften Klienten empfehle, 'Meditation für Anfänger’. Also auch das muss man lernen beziehungsweise wiedererlernen, wenn man es verlernt hat. So kann man in kleinen Schritten anfangen und es reicht dabei oft schon, ein paar Minuten pro Tag zu meditieren. Meditation hört sich erst mal so an, als würde man mit den Augen geschlossen im Schneidersitz am Boden sitzen und einfach nur meditieren. Aber das ist ja für erschöpfte Menschen überhaupt nicht möglich. Deswegen gibt es auch ganz andere Formen der Meditation. Meditation kann auch sein, sich ein Lied anzuhören und einfach nur zuzuhören. Eine objektbezogene Meditation in dem Fall kann auch sein, dass man etwa eine Kerzenflamme beobachtet: Die Kerze steht vor einem und man gibt dem Kopf die Aufgabe, damit der Verstand beschäftigt ist, diese Flamme zu beobachten. Das kann dann zwei/drei Minuten passieren und da der Kopf eine Aufgabe hat, schweift er nicht ab und der Körper hat Zeit, um sich zu entspannen. Ansonsten bin ich bei gestressten Menschen auch ein großer Fan davon, bestimmte Dinge in den Alltag zu integrieren, ohne einen zeitlichen Mehraufwand zu generieren, also zum Beispiel Autofahrten zu nutzen, um richtig tief zu atmen oder den meist verspannten Nacken oder Kiefer zu entlasten, oder auch einfach mal Musik zu hören und laut mitzusingen. Singen ist auch so ein Geheimtipp, den ich selbst mal von einer Therapeutin bekommen habe: Während man singt, kann man nicht gleichzeitig nachdenken, und deshalb ist es auch eine super Möglichkeit, um abzuschalten.

Ilka Brühl: Das ist auf jeden Fall sehr beruhigend, zu wissen, dass da bei der Behandlung so individuell auf die persönliche Situation und das jeweilige Stadium geschaut wird. Also ich glaube, da wird dann jede Person genau auf die für sie richtige Weise behandelt. Und auch ich nehme noch einiges mit, denn ich gehöre definitiv zu den Personen, deren Kopf niemals ruht. Und das mit der Flamme oder dem Mitsingen sind auch für mich sehr gute Tipps, Dankeschön. Was kann man denn tun, wenn man langfristige Erfolge erzielen möchte?

Sarah Victoria Kunz: Um wirklich langfristig und nachhaltig gesund zu werden und auch zu bleiben, muss man da aus meiner Sicht nochmal deutlich genauer hinschauen und am eigenen individuellen Stresserleben wirklich etwas verändern. Und das führt einen dann zwangsläufig in die Vergangenheit beziehungsweise oft auch in die Kindheit: Also wie wurde ich geprägt? Welche Glaubenssätze beeinflussen mich? Was sind meine Motivations- und Belohnungssysteme? Welche Erwartungen stelle ich an mich selbst? Und das ist dann natürlich oft ein längerer therapeutischer Prozess, in dem man sich aber im Laufe der Zeit sehr gut kennenlernt und auch lernt, diese Muster zu durchbrechen beziehungsweise neue Wege zu gehen sowie neue Grenzen, sowohl äußere als auch eigene innere, zu setzen. Therapeutisch unterstützen können dabei auch wieder klassische Verfahren wie zum Beispiel die tiefenpsychologischen, psychoanalytischen oder systemischen Verfahren, aber natürlich auch alternativ-methodische Verfahren wie zum Beispiel die Hypnotherapie oder die Kinesiologie. Wichtig ist da auch wieder, auf das Bauchgefühl zu hören und reinzuspüren, wer oder was einen da gerade in der Situation am besten unterstützen kann. Und dann muss man natürlich den Mut haben, loszugehen und diesen ersten, oft schwierigsten Schritt in dem Prozess wirklich zu gehen.

Ilka Brühl: Auch wenn Burnouts noch nicht komplett erforscht sind, gibt es doch viele wichtige Anhaltspunkte, die Sarah uns in dieser Folge mitgegeben hat. Wir hoffen, dass ihr nun besser auf die Anzeichen eures Körpers und eures Geistes achtet und nicht zögert, euch Hilfe zu holen, wenn ihr sie braucht. Wenn dir die Folge gefallen hat, empfehle sie doch gerne weiter und bewerte uns auf einem Podcast Player deiner Wahl. Ansonsten ist es in einem Monat wieder Zeit für ‘Von Achtsam bis Zuckerfrei’, deinem Gesundheits-Podcast der Audi BKK.

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