Schlaf ist die beste Medizin – doch was ist dran?

I: Herzlich willkommen zur dritten Staffel des Gesundheitspodcasts der Audi BKK. In diesem widmen wir uns einer Vielfalt an Themen, die Körper und Geist betreffen. Wenn ich einmal wieder penibel auf meine acht Stunden Schlaf achte, dann kommt mir hin und wieder das Zitat von Rainer Werner Fassbinder in den Kopf: „Schlafen kann ich noch, wenn ich tot bin.“. Doch, woher kommt diese Zahl acht Stunden? Wie viel Schlaf ist tatsächlich gesund? Ist mehr immer besser? Oder kommt es nur auf die Qualität an? Diesen Fragen gehe ich zusammen mit dem Schlafexperten Dr. Weeß nach. Er ist Psychotherapeut und Somnologe. Außerdem leitet er die schlafmedizinische Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster und lehrt an der Universität Koblenz-Landau. Seit 2008 ist er außerdem Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Andauernd unterhalte ich mich mit Menschen, die müde sind. Egal, ob es junge Eltern mit Schreibaby, Berufstätige mit hohem Arbeitspensum, Student*innen oder auch Rentner sind. Müde sind sie alle. Auch ich klage andauernd darüber, dass ich nicht ausreichend Schlaf bekomme. Ist das nur ein subjektiver Eindruck? Einige Studien belegen, dass Schlafstörungen bei Erwachsenen einen Aufwärtstrend haben. Doch woran liegt das? Die Ursachen sind vielfältig. Einerseits powern wir uns im Job und Alltag nur noch selten aus. Die meisten gehen einer Bürotätigkeit nach, die eher den Kopf fordert. Nicht nur, dass uns die Bewegung fehlt. Zudem können viele Menschen nicht gut im Feierabend abschalten. Sie nehmen die Probleme gedanklich mit nach Hause und grübeln noch weiter darüber nach. Spätestens durch die Digitalisierung und das vermehrte Homeoffice verschwimmen die Grenzen noch mehr. Die Work-Life-Balance gerät ins Wanken, wenn man noch eben vor dem Schlafengehen die Mails checkt oder kurz etwas für die wichtige Präsentation am nächsten Tag vorbereitet. Doch selbst wenn es gelingt die Arbeit hinter sich zu lassen, sind die Bildschirme privat abends kaum wegzudenken. Aber egal woran es liegt, die Bedeutung des Schlafes auf unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit sollte auf keinen Fall unterschätzt werden. Deswegen freue ich mich sehr, nun mit einem Experten über das Thema reden zu können. Mit dieser Folge möchten wir euch einen ersten Einblick in das Thema Schlaf geben. Weitere Inhalte findet ihr dann im Online-Magazin der Audi BKK. Guten Tag, Herr Doktor Weeß. Vielen Dank, dass Sie sich heute mit uns über das Thema Schlaf unterhalten. Wenn es um die richtige Menge Schlaf geht, werden ja immer wieder acht Stunden empfohlen. Würden Sie das unterschreiben? B: Ja, erst einmal auch guten Tag von meiner Seite aus. Ich freue mich, dass ich mit Ihnen ein bisschen über die Funktion und Bedeutung des Schlafes plaudern darf, und gleich zu Ihrer ersten Frage. Das menschliche Schlafbedürfnis, das ist genetisch festgelegt. Bei 80 Prozent der Menschen ist es so, dass dieses genetische Schlafbedürfnis zwischen sechs und acht Stunden liegt. Also diese Forderung, dass es mindestens acht, oder manchmal liest man oder hört man auch, mindestens sieben, Stunden Schlaf sein sollen, das ist eigentlich nicht gerechtfertigt. Denn es gibt Menschen, die eben nur sechs Stunden Schlaf benötigen, und was sollen die sich dann noch ein oder zwei Stunden in den Betten unnötig herumdrücken. Und grundsätzlich ist es auch so, dass es auch Variationen gibt. Es gibt Menschen, die brauchen viel mehr als acht, andere viel weniger als sechs Stunden. Man weiß von Napoleon beispielsweise, dass er nur drei bis vier Stunden benötigt hat. Von Einstein, dass er zehn bis elf Stunden benötigt hat. Beide haben es zu etwas gebracht. Also, es liegt nicht immer an der absoluten Schlafmenge, ob man dann mehr oder weniger erfolgreich durch das Leben geht. I: Das ist ja spannend. Was passiert überhaupt beim Schlafen in unserem Körper? Wozu brauchen wir den? B: Wir liegen da scheinbar nutzlos, unproduktiv und faul für ungefähr ein Drittel unseres Lebens in unseren Betten herum. Aber der Schein trügt. Der Schlaf ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm, das der Mensch überhaupt hat. Der Volksmund sagt manchmal: „Schlaf ist die beste Medizin.“. Und da wundert es auch nicht, dass wir im Schlaf fast genauso viel Energie verbrauchen, wie wir das im Wachen tun. Wenn wir das mit einem Menschen vergleichen, der eine sitzende Tätigkeit hat, der nicht schwer körperlich arbeitet, dann ist es wirklich unbedeutsam weniger Energie, was wir da im Vergleich im Schlaf verbrauchen. Aber Energie für Regeneration und Reparatur. Da wird zum Beispiel dann das Wachstumshormon ausgeschüttet. Das brauchen Kinder tatsächlich für das Körperwachstum. Erwachsene brauchen es für Zellteilung und Zellneubildung. Viele unserer Körperzellen haben ja nur eine Lebensdauer von wenigen Tagen, und da ist der Schlaf eben dann ganz bedeutsam. Auch für den Muskelaufbau benötigen wir dringend das Wachstumshormon. Es wird auch während des Schlafes beispielsweise Testosteron produziert. Das braucht der Mann für seine Fortpflanzungsfähigkeit, ebenso auch für seinen Muskelaufbau. Wenn wir Männer anstatt acht nur vier Stunden für elf Tage schlafen lassen, dann ist es tatsächlich so, dass deren Fortpflanzungsfähigkeit schon um ein Viertel reduziert ist. Schlaf ist wichtig für das Immunsystem. Es wird gestärkt während des Schlafes. Deswegen ist es auch so, dass der Volksmund sagt: „Schlaf dich erst einmal gesund.“. Wenn man eine Erkältung hat, wird man müde, weil das Immunsystem auf Hochtouren arbeitet, und das ist ja gerade in Zeiten der Pandemie von ganz besonderer Bedeutung. Und wenn ich das an der Stelle vielleicht auch einfügen darf, gerade wenn man geimpft wird, ist es unheimlich wichtig, dass man in der Folge ausreichend Schlaf hat. Dass man dann nicht zu einer Party oder Nachtschicht geht, weil, je besser man danach schläft, umso besser kann dann auch die Impfung wirken. Es gibt viele weitere ganz elementare Funktionen, die der Schlaf hat. Da ist Gedächtnis Booster, beispielsweise. Im Schlaf werden Gedächtnisprozesse unterstützt, und wenn wir nicht ausreichend Schlaf haben, wenn wir es einmal von der Seite betrachten, dann steigt unser Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Stoffwechselerkrankungen. Wir sterben früher. Das Risiko für Alterserkrankungen, wie Demenz, wie Parkinson, steigt an. Und auch das Risiko für psychische Störungen. Also, es ist gut, wenn wir den Schlaf schätzen. Wir sollten das viel mehr tun, als es die Menschen derzeit in unserer Gesellschaft tun. I: Man spricht ja im Volksmund auch davon, dass es die Lerchen und die Eulen gibt. Ich persönlich habe immer das Gefühl, ich bin irgendwie so ein Mittelding. Aber gibt es wirklich eine innere Uhr, die dazu führt, dass wir eher morgens oder abends aktiv sind? Oder ist das alles nur Gewohnheit? B: Nein, das ist keine Gewohnheit. Es ist tatsächlich so, dass wir erst einmal, wenn wir auf die Welt kommen, alle Lerchen sind. Dann sind wir Frühaufsteher. Ich kann mich gut erinnern, als unser Sohn ein, zwei Jahre alt war, dass ich Sonntagmorgen um sechs Uhr im Kinderzimmer auf dem Boden gelegen habe. Er hat an mir gerüttelt: „Papa, nicht schlafen. Weiterspielen.“. Wenn wir in die Pubertät kommen, dann bildet sich dieser Chronotyp, dieser Schlaftyp, aus. Und da entscheidet sich, ob wir dann ein Frühtyp werden. Das ist die Lerche. Die geht abends um neun Uhr vielleicht schon ins Bett und steht morgens mit den ersten Sonnenstrahlen um fünf, sechs Uhr auf. Und auf der anderen Seite gibt es dann die Eulen, die werden abends um 20, 21 Uhr noch einmal fit. Wenn die noch etwas unternehmen, auf die Pirsch gehen, was arbeiten, finden die eigentlich nicht ins Bett. Und wenn es dann morgens ist und die Lerche springt voller Energie aus dem Bett, dann ist es für die Eule noch mitten in der Nacht. Dann kann die nur müde ein Augenlid heben und will am liebsten bis acht oder neun Uhr schlafen. Da gibt es natürlich auch Zwischentypen. Da scheinen Sie dazu zu gehören, wenn Sie sagen, Sie liegen irgendwo dazwischen. Aber dieser Chronotyp, der bildet sich mit der Pubertät aus. Da sind wir übrigens sehr spät getaktet. Egal, ob wir dann Lerche oder Eule werden, wir sind im Vergleich zum ganzen Leben dann am spätesten dran. Wenn ich noch einmal auf die Situation mit meinem Sohn zurückkommen darf? Als er in die Pubertät kam, da habe ich an ihm gerüttelt. Aber das war dann sonntags um zwölf Uhr. Da habe ich gerüttelt: „Steh doch auf, komm doch wenigstens zum Mittagsessen.“, weil wir eben in dieser Lebensspanne dann ganz spät getaktet sind. Und je älter wir werden, wenn wir dann einmal 30, 40, 50 Lebensjahre haben, dann werden wir, egal ob Lerche oder Eule, wieder etwas lerchiger. Wir gehen wieder früher ins Bett und können auch wieder früher letztendlich aufstehen. Das lässt sich nicht verändern, das ist ein genetisches Programm. In Beziehungen gibt es dann manchmal Streitigkeiten, morgens oder abends. Morgens kommt von der einen Seite der Vorwurf: „Steh doch einmal auf, du verpennst den ganzen Tag.“. Und abends kommt dann von der anderen Seite der Vorwurf: „Mensch, mit dir ist ja gar nichts anzufangen.“. Aber man kann sich da nicht verändern, weil es eben genetisch festgelegt ist. I: Unabhängig davon, ob man Lerche oder Eule ist, haben ja immer mehr Menschen Schlafprobleme in ganz unterschiedlichen Ausmaßen. Aber als wann gilt etwas eigentlich als Schlafstörung? Wie lange ist es normal, vielleicht auch einmal wach zu liegen? Welche Art von Problemen gibt es? B: Grundsätzlich ist es so, dass wir in der Schlafmedizin über 80 Formen von Schlafstörungen unterscheiden. Sie sprechen jetzt wahrscheinlich, wenn Sie über Schlafstörungen sprechen, die Ein- und Durchschlafstörungen an. Aber das ist tatsächlich nur eine von 80 Schlafstörungen, die wir unterscheiden. Da gehört zum Beispiel auch so etwas wie das krankhafte Schnarchen und die Atemstillstände dazu. Außerdem gehören ganz seltene Erkrankungen dazu, wie das Schlafwandeln, beispielsweise. Oder schwere Albträume. Aber jetzt zurückkommend auf die Ein- und Durchschlafstörungen. Da muss man sagen, dass relativ viele Menschen davon betroffen sind. Das ist eine Volkskrankheit. Sechs Prozent der Bevölkerung leiden an behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörungen. Wir sprechen immer dann von einem Behandlungsbedarf, wenn über mindestens vier Wochen hinweg dreimal pro Woche die nächtlichen Schlafprobleme so ausgeprägt waren, dass sich die Betreffenden am Tage in ihrem Leistungsvermögen, in ihrem Wohlbefinden, eingeschränkt gefühlt haben. Dann ist es behandlungsbedürftig. Das ist dann immer noch eine leichte Schlafstörung, weil es ja nur dreimal pro Woche aufgetreten ist. Aber dann fangen wir an, nach Ursachen zu suchen und fangen an zu behandeln. I: Und woher können diese Schlafstörungen kommen? B: Ein- und Durchschlafstörungen können ganz viele unterschiedliche Ursachen haben. Das kann daran liegen, dass sie als Begleiter von körperlichen Erkrankungen auftreten, zum Beispiel bei Schilddrüsenerkrankungen oder neurologischen Erkrankungen, wie der multiplen Sklerose, beispielsweise. Oder auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen, wie Diabetes. Es kann aber auch sein, dass Ein- und Durchschlafstörungen Nebenwirkungen von Medikamenten sind. Ungefähr 20 Prozent aller Medikamente, die in Deutschland auf dem Markt sind, können, müssen nicht, aber können beim Einzelnen Schlafstörungen auslösen. Es können Schlafstörungen auch durch falsches Verhalten auftreten. Ein ganz klassischer Fehler für Einschlafstörungen, ist der Schlaf vor dem Fernseher auf der Couch. Ich habe ganz viele Patienten, die schlafen auf der Couch vor dem Fernseher, da schläft ja ganz Deutschland am besten, ein, zwei Stunden. Dabei bauen sie ganz viel Schlafdruck ab und wenn sie dann ins Schlafzimmer gehen, dann sind sie hellwach, weil sie eben Schlafdruck abgebaut haben. Das ist eine Fehlverhaltensweise. Aber auch zu hoher Alkoholkonsum am Abend, zu spät schwere Mahlzeiten, zu spät zu viel Sport, kann Schlafstörungen hervorrufen. Aber die Hauptursache für die Insomnie, so heißt die Ein- und Durchschlafstörung im Fachbegriff, ist, dass die betreffenden Menschen nicht abschalten können. Dass sie die großen und die kleinen Sorgen abends mit ins Bett nehmen und dort das Gedankenkarussell über diese Probleme kreist. Und zum anderen, das ist der zweite Grund, der da häufig mit vergesellschaftet ist. Wenn man dann merkt, dass man schlecht schläft, und die letzten Nächte wieder nicht gut waren und man hat mit seinem Kissen gekämpft, die Bettdecke hoch und runter gezogen, dann will man einfach schlafen. Man geht ins Bett und sagt sich: „Aber heute muss es klappen.“. Aber nichts ist schlimmer, als ins Bett zu gehen und schlafen wollen. Denn, ich sage es Ihnen einmal ganz provokativ oder auf den Punkt gebracht, wer schlafen will, bleibt wach. Je mehr ich mich anstrenge einzuschlafen, umso angespannter werde ich und umso wacher mache ich mich. Von daher plädiere ich immer dafür, dass man sich wieder einen sehr unkomplizierten Umgang mit der Nacht, mit dem Schlaf, erarbeitet. Wieder lernt, abzuschalten, sich zu entpflichten. Und bitte schön nie an Schlaf denken. Dann hat man so letztendlich die optimalen Schlafbedingungen. Ich weiß, ich sage das jetzt so einfach. Das ist in der Realität für Menschen mit Schlafstörungen sehr schwer. Aber da haben wir dann kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken, mit denen wir die Patienten sehr gut behandeln können. Keine Schlafmittel, besser sind solche kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken. I: Wenn ich mit anderen Menschen rede, habe ich immer das Gefühl, dass die meisten in meinem Umfeld permanent über Müdigkeit klagen. Also scheint es ja eigentlich ganz normal zu sein, dass wir alle permanent müde sind. Welche Auswirkungen kann das denn haben, dass wir das vielleicht auch unterschätzen? B: Grundsätzlich sind wir eine unausgeschlafene Gesellschaft. Gerade für die Spättypen, für die Eulen, für die Normaltypen, beginnt Arbeit und Schule viel zu früh. Das heißt, jede Nacht beenden wir unser wichtigstes Regenerations- und Reparaturprogramm, das wir haben, das ist der Schlaf, vorzeitig. Wir schlafen nicht aus. 80 Prozent der Deutschen stehen übrigens mit dem Wecker auf, das ist der Beleg dafür. Niemand würde auf die Idee kommen, das Programm einer Waschmaschine vorzeitig zu beenden. Es hätte seine Aufgaben noch nicht erfüllt und die Wäsche wäre schmutzig. Aber mit dem Schlaf verfahren wir völlig gedankenlos so. Mit dem Preis eben, dass wir unausgeschlafen sind, dass wir müde sind. Auf deutschen Straßen sterben doppelt so viele Menschen infolge von Einschlafen am Steuer, also Übermüdung, Sekundenschlaf, als infolge von Alkohol am Steuer, beispielsweise. Wir nehmen das aber hin. Wir akzeptieren es, dass wir immer wieder mit Müdigkeit kämpfen. Wer wenig schläft, der gilt ja als tüchtig und fleißig, als hip, als dynamisch. Und auch hier, glaube ich, sollte ein Umdenken stattfinden. Wir sollten dafür sorgen, dass wir alle zu genügend Schlaf kommen, weil wir dann gesünder alt werden.

I: Sie meinten vorhin schon, dass es im Volksmund die Redensart gibt, dass Schlaf alle Krankheiten heilt. Würden Sie mir also empfehlen, wenn ich mich nicht gut fühle, einfach einmal einen Tag im Bett zu verbringen?

B: Wenn wir eine Erkältung haben, beispielsweise, einen starken Infekt, dann ist es hilfreich, wenn wir den Körper schonen, wenn wir ihn nicht belasten. Wenn wir viel schlafen, weil wir dann das Immunsystem stärken. Wenn wir jetzt einen Fuß gebrochen haben, dann hilft der viele Schlaf nicht ganz so viel. Es hängt also immer ein bisschen von der Art der Erkrankung ab, an der wir leiden. Aber ja, grundsätzlich ist Schlaf bei vielen Erkrankungen in vielen Lebenslagen die beste Medizin. I: Die meisten Menschen gehen ja mit Schlafstörungen nicht direkt zum Arzt. Ich kenne ganz viele Menschen, die erst einmal Schlafmittel aus der Drogerie oder Apotheke benutzen, auch über einen langen Zeitraum, die nicht verschreibungspflichtig sind. Was ist Ihre Meinung dazu? Ist das ein sinnvoller Ansatz? B: Grundsätzlich ist es so, dass die Einnahme von Schlafmitteln keine kausale Therapie in den allermeisten Fällen von Schlafstörungen darstellt. Schlafmittel sind immer eine symptomatische Therapie. Wenn wir heute einen Infekt haben, bakteriellen Infekt beispielsweise, dann nehmen wir ein Antibiotikum sieben, neun, elf, dreizehn Tage ein, und dann sind wir danach geheilt. Das hat ja eine kausale Wirkung. Wenn wir aber sieben, neun, elf Tage ein Schlafmittel einnehmen, sind wir nicht wieder schlaf-gesund. Das muss man schon einmal wissen. Wir müssen erst die Ursachen finden und wenn wir die Ursachen gefunden haben, dann sollte eine kausale Therapie stattfinden. Schlafmittel sind Beruhigungsmittel, das sind Tranquilizer. Vor allem die primären Schlafmittel haben ein hohes Gewöhnungs- und Abhängigkeitspotential und deswegen sollten die nur kurzfristig eingenommen werden. Es ist viel besser, wenn wir wieder zu unserer eigenen Schlaftablette werden. Das heißt, ich habe das vorhin schon einmal angedeutet, mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken wieder zu lernen, abends, wenn man ins Bett geht, ins Schlafzimmer geht, sich zu entpflichten, abzuschalten, zu entspannen. So kann man wieder dem Schlaf einen roten Teppich ausrollen, um so in die schlafförderliche Entspannung zu kommen, dass der Schlaf von alleine auftreten kann. Das ist dann eine kausale Therapie. Und ganz kurz noch zu dem Thema Apotheke, rezeptfrei. Wenn es pflanzliche Mittel sind und sie tatsächlich helfen, helfen würden, dann ist es sicherlich nicht von Nachteil. Aber man muss sagen, dass die beruhigende Potenz dieser rezeptfreien Medikamente oft viel zu gering ist, und dass eben Menschen mit einer richtigen Schlafstörung nicht davon profitieren werden. I: Sie sprachen schon mehrfach von den kognitiven Methoden, um den Schlaf zu verbessern. Was gibt es denn allgemein für Ansätze, wenn ich Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen habe? Was kann ich tun? Ich habe schon häufiger von Routinen gehört. Was würden Sie da empfehlen? B: Das Ziel muss immer sein, wie ich das gerade gesagt habe, dass man sich vom Alltag entpflichtet. Dass man nachts auf Urlaub geht, dass man sein Gedankenkarussell stoppt und die großen und die kleinen Sorgen vor der Tür lässt, um dann gedanklich, gefühlsmäßig zu entspannen. Tausend Wege führen nach Rom, und so ist es auch mit diesen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken. Wir haben ganz viel im Angebot, was wir unseren Patienten vermitteln in Einzelgesprächen, in Gruppengesprächen, die zu uns an den Standort kommen. Menschen kommen zum Teil aus ganz Deutschland, um wieder schlafen zu lernen, um diese Techniken zu erwerben. Und was ich immer empfehlen möchte, ist ein Zu-Bett-geh-Ritual, welches so aussieht, dass man rechtzeitig, bevor man ins Bett geht, den Tag abschließt. Sich vielleicht die Dinge, die einen belasten, von der Seele schreibt, beispielsweise ein Tagebuch schreibt. Die Dinge, die unerledigt bleiben, auf eine To-do-Liste schreibt, oder mit dem Partner über das spricht, was einen belastet. Immer mit dem Ziel, es dann auf die Seite zu legen bis zum nächsten Morgen, bis der Wecker klingelt. Und im zweiten Teil von so einem Zu-Bett-geh-Ritual sollte man sich dann den schönen Dingen des Lebens zuwenden. Das kann sein, dass man ein entspannendes Buch liest oder einem entspannenden Hobby nachgeht. Es kann genauso auch sein, dass man ein Hörbuch hört, dass man noch ein bisschen spazieren geht, beispielsweise. Da ist alles erlaubt, was gefällt und was den Einzelnen letztendlich entspannt. Und das ist immer auch so ein bisschen das Herausfordernde, dass man mit dem Patienten gemeinsam die Dinge herausfindet, die ihm guttun. Ich persönlich empfehle auch immer Phantasiereisen. Das ist das Motto „werde dein eigener Fernseher“, weil ja ganz Deutschland vor dem Fernseher am besten schläft, weil man den Fernseher anschaltet und sich selber abschaltet. Man folgt dieser wenig stimulierenden Handlung, aber ist von den eigenen Sorgen abgelenkt. Und genauso leiten wir dann die Patienten an, dass sie sich an schöne Erlebnisse erinnern, beispielsweise Urlaube oder Hobbys in Gedanken noch einmal durchgehen. Das Lieblingsgericht kochen, einen Spaziergang mit allen Sinnen gehen, beispielsweise. Immer mit dem Ziel, das Gehirn so ausführlich mit neutralen oder vielleicht auch emotional angenehmen Dingen zu beschäftigen, so dass das Gehirn nicht auf dumme Gedanken kommen kann, nämlich über Alltag und Belastendes nachzugrübeln. Und vielleicht noch ein letzter Tipp. Ich rate meinen Patienten oft, wieder die Kinderkassetten anzuhören, Märchenkassetten, weil man dann zum einen schön abgelenkt ist und zum anderen kommen oft die guten Gefühle aus der Kindheit mit dazu. Gefühle von Sicherheit, von Geborgenheit. Und das ist die Autobahn in den Schlaf. I: Das werde ich mir auf jeden Fall auch merken, wenn ich einmal wieder wach liege. Wie ist das denn mit dem Thema Kaffee? Denn häufig kann ich persönlich sehr gut einschlafen, auch wenn ich bis in den Abend viel Kaffee trinke. Aber eine Freundin von mir meidet schon ab dem frühen Nachmittag überhaupt jede Form von Koffein. Sie sagt, dass sie dann gar nicht mehr schlafen kann. Ist das Einbildung oder Gewohnheit? Oder stimmt es, dass ich vielleicht sogar noch besser schlafen würde, wenn ich auf den Kaffee verzichte? Sollte ich damit besser aufhören? B: Es gibt koffein-sensible Menschen und weniger koffein-sensible Menschen. Das pauschale Verbot von Koffein bei Schlafstörungen macht keinen Sinn. Man muss aber wissen, Koffein kann elf Stunden wirken. Im Falle Ihrer Freundin, die sensibler ist, sollte sie tatsächlich in der zweiten Tageshälfte das Koffein meiden. Ich kann mich Ihnen anschließen, ich trinke abends auch ein, zwei Tassen Kaffee oder Espresso, gehe ins Bett und schlummer süß. Da muss jeder letztendlich der eigene Schlafexperte oder die eigene Schlafexpertin werden, wenn es um das Thema Koffein geht. I: Ist das genauso mit dem Thema Mittagsschlaf? Denn man kennt es ja, dass einem früher, bei mir auf jeden Fall immer, zu Power Nap geraten wurde, weil das so gesund sei. Oder in den südlichen Ländern ist eine kleine Siesta am Mittag ja auch gang und gäbe. Ist ein Mittagsschlaf ratsam oder eher nicht? B: Ja, ich möchte absolut jedem zum Mittagsschlaf raten. Kurz und knackig, 10, höchstens zwanzig Minuten, und nicht nach fünfzehn, spätestens sechzehn Uhr, damit man nicht zu viel Schlafdruck für die Nacht abbaut. Was ist der Vorteil vom Mittagsschlaf? Man ist danach wieder leistungsfähiger, wacher, ausgeschlafener, produktiver, macht weniger Fehler, seine Stimmung ist stabiler, da kann man einmal so einen nervigen Kollegen viel besser aushalten, oder Vorgesetzten. Und es ist gesund, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beispielsweise, sinkt und die Lebenserwartung steigt. Also, so ein kleiner Power Nap, das würde schon jedem von uns gut tun. I: Auf dem Sofa bin ich manchmal müde, und wenn ich mich dann aber aus dieser müden Stimmung heraus ins Bett begebe, liege ich trotzdem wach. Wie ist das zu erklären? B: Ja, das ist gar nicht so untypisch. Entweder sind Sie auf dem Sofa doch schon ein bisschen eingenickt, ohne dass sie es gemerkt haben und haben ein bisschen Schlafdruck abgebaut. Oder Ihr Schlafzimmer ist ein bisschen negativ besetzt. Es ist nicht nur damit besetzt, wie es sein sollte, mit Entspannung, Wohlfühlen, Urlaub. Sondern es hat auch etwas damit zu tun, dass Ihr Schlafzimmer vielleicht schon ein Ort ist, wo Sie auch einmal grübeln, wo Sie auch einmal um den Schlaf ringen. Und wenn das der Fall ist, dann weiß das Unterbewusstsein schon, wenn man wieder an diesen Ort geht, dass grübelt oder um den Schlaf gerungen wird. Dann wird das sympathische Nervensystem hochgefahren. Das brauchen wir, wenn wir Stress haben. Dabei bereitet sich der Körper auf den Stress, der gleich im Schlafzimmer stattfindet, vor, und Stress macht immer wach. Das geht immer mit Wachheit einher. I: Gut zu wissen. In den meisten Haushalten ist auch Schnarchen ein sehr großes Thema. Abgesehen davon, dass es die anderen Personen um den Schlaf bringen kann, ist es ja auch für die schnarchende Person selbst nicht folgenlos. Häufig gehen Atemaussetzer damit einher, der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt. Ab wann sollte ich das einmal abchecken lassen? B: Immer dann, wenn mir jemand berichtet, dass ich Atemaussetzer im Schlaf habe. Wenn ich gleichzeitig merke, dass ich eigentlich meine übliche Schlafzeit hatte, fühle mich aber plötzlich trotzdem am Tage müde und unausgeschlafen, insbesondere vielleicht in monotonen Situationen, ist es ein Hinweis darauf, dass infolge der Atemaussetzer der Schlaf nicht mehr erholsam genug ist. Und wenn ich dazu dann auch noch vielleicht übergewichtig bin oder einen kurzen gedrungenen Hals habe oder gar schon an Bluthochdruck leide, dann sollte ich ziemlich schnell einen Arzt konsultieren, weil dann die Wahrscheinlichkeit mit jedem positiven Ja auf das, was ich jetzt gerade an Kriterien genannt habe, deutlich ansteigt, dass man an einem krankhaften Schnarchen, an einer sogenannten Schlafapnoe leidet. I: Sie hatten vorhin schon angesprochen, dass viele ältere Menschen dann doch wieder zu Lerchen werden. Ich las aber auch vor Kurzem, dass das ein Irrglaube sei, das Erwachsene, also ältere Menschen, weniger Schlaf brauchen und dass sie dadurch oft sagen: „Ich bin jetzt alt, jetzt ist das halt so. Ich schlafe einfach weniger, das war schon bei meinen Eltern so.“. Es ist aber wohl nicht so, dass das Bedürfnis sinkt, und dadurch schlafen alte Menschen oft zu wenig. Würden Sie das auch unterschreiben? B: Ja, ich unterschreibe es. Der ältere Mensch braucht eigentlich nicht, oder wenn, dann nur unbedeutend, weniger Schlaf als jemand im mittleren Lebensalter. Lassen Sie das vielleicht bei einem Älteren einmal so zehn, 20 Minuten weniger Schlaf sein, was er benötigt, im Vergleich zu der Zeit, als er 40 Jahre alt war. Also, es ist unbedeutend. Ältere Menschen verlieren ein bisschen die Fähigkeit, durchzuschlafen. Die dürfen nachts auch einmal eher eine viertel oder halbe Stunde wach liegen. Das ist dann auch noch okay. Und die dürfen auch gerne einmal dann am Tage ein Nickerchen machen, so ein Power Nap. Aber, um es zusammenzufassen, ältere Menschen brauchen eigentlich genauso viel Schlaf, wie jemand im mittleren Lebensalter. I: Wie ist das mit den Träumen? Manche Menschen erinnern sich lebhaft an ihre Träume, andere haben das Gefühl, sie träumen überhaupt nicht. Wozu träumen wir überhaupt? Haben meine Träume wirklich eine Bedeutung? Und muss ich mir Sorgen machen, wenn ich viele Albträume habe? B: Das sind sehr viele Fragen auf einmal. Grundsätzlich ist es so, dass unser Gehirn die ganze Nacht träumt. Es ist immer aktiv und verarbeitet das, was wir am Tage erlebt haben. Das ist auch die Hauptfunktion des Traumes. Die Kontinuitätshypothese sagt, das, was uns am Tage belastet, beschäftigt hat, wird im Schlaf noch einmal nachbearbeitet oder verarbeitet. Interessanterweise finden im sogenannten REM, den wir umgangssprachlich auch Traumschlaf nennen, Träume statt, die uns sehr stark emotional beteiligen. Da haben wir Sorgen, Nöte, Ängste, Freude. An diese Träume können wir uns am besten erinnern. Und Träume, die außerhalb des REM-Schlafes sind, sind sachlicher Natur. An die können wir uns nicht so gut erinnern, weil alles, was mit dem Gefühl zu tun hat, wir uns besser merken können. Und das, was nicht mit Gefühl zu tun hat, vergessen wir eher. Es gibt Menschen, die können sich an total viele Träume erinnern, die sprudeln morgens förmlich über, über das, was sie nachts alles erlebt haben. Dann sitzen die anderen daneben und zucken nur mit den Schultern und sagen, dass sie überhaupt nicht träumen. Grundsätzlich ist es so, dass beide gleich viel träumen. Aber, die eine Person erinnert sich daran und die andere erinnert sich nicht daran. Die eine Person hat ihren Traumerinnerungsmuskel trainiert und kann sich deswegen an vieles erinnern und die andere nicht. Wenn aber die Person mit ihrem untrainierten Traumerinnerungsmuskel jeden Morgen beim Zähneputzen anfängt darüber nachzudenken, was sie in der Nacht geträumt hat, dann kann sie auch nach vier Wochen so viel von Träumen berichten, wie die erstgenannte Person, die schon jetzt ganz viel von ihren Träumen weiß. I: Haben Sie abschließend noch einen Tipp für unsere Hörerinnen und Hörer, oder gibt es vielleicht einen Schlafmythos, mit dem Sie aufräumen möchten? B: Ein Schlafmythos mit dem ich aufräumen möchte? Ja, da habe ich einen. Und zwar, ganz viele meiner Patienten kommen zu mir und sagen: „Herr Doktor, ich würde so gerne einmal wieder durchschlafen.“. Dann bin ich immer ganz erstaunt oder gebe mich ganz erstaunt und sage: „Ja, wieso denn das? Wachwerden gehört doch zum Schlafen dazu.“. Und das ist ganz wichtig, dass uns das bewusst ist. Wir werden nachts, je nachdem wie alt wir sind, zwischen zehn und 25-mal wach. An die wenigsten Wachphasen können wir uns erinnern, weil wir immer gleich wieder einschlafen, bevor diese Information ins Langzeitgedächtnis geht, und wir uns erst am nächsten Morgen daran erinnern, dass wir wach waren. Aber unser Gehirn weckt uns immer wieder, so möchte ich sagen, alle Stunde bis eineinhalb Stunden spätestens, um nachzuschauen, ob denn der Tiger kommt und ob wir auf den nächsten Baum flüchten müssen. Das macht es, weil unsere Schlafgene immer noch in der Steinzeit sind. Die haben noch nicht verstanden, dass wir heute in geschützten Behausungen leben und der Schlaf kein gefährlicher Zustand mehr ist, wie er das früher war. Früher war es wichtig für das Überleben des Menschen, dass wir immer wieder wach wurden und nachschauten, ob wir sicher sind oder flüchten müssen. Und von daher gehört auch heute noch Wachwerden zum Schlafen dazu. Es ist keine Katastrophe, wenn wir nachts aufwachen, wie das viele Menschen erleben, wenn sie an Schlafstörungen leiden, und die unbedingt wieder durchschlafen wollen.

I: Das ist auf jeden Fall ein Tipp, den ich für mich persönlich mitnehme, denn ich habe das auch immer gesagt. Also vielen Dank, dass Sie mich darüber ein bisschen aufgeklärt haben. Und auch vielen Dank, dass Sie heute viele tolle Inhalte mit uns geteilt haben. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall alles Gute und einen guten Schlaf. Vielen Dank, dass Sie heute hier waren, Herr Doktor Weeß. B: Ja, vielen Dank, dass ich hier sein durfte, dass ich Ihnen etwas vom wichtigsten Drittel des Lebens erzählen durfte. Und ich wünsche Ihnen und allen Zuhörern stets entspannte Nächte. Gar keinen guten Schlaf, weil ich weiß, wenn Sie entspannt und gelassen sind in der Nacht, dass der gute Schlaf von ganz alleine kommt. I: Also ich konnte auf jeden Fall einiges aus dieser Folge für mich mitnehmen und bin gespannt, wie sich das in Zukunft auf meinen Schlaf auswirkt. Ich hoffe, auch euch hat die Folge gut gefallen, und wir sind super interessiert daran, wie ihr den Podcast findet. Also hinterlasst uns sehr gerne eine Bewertung auf einem Podcast-Player eurer Wahl und abonniert uns, um keine weitere Folge zu verpassen. Die nächste Folge des Gesundheitspodcasts der Audi BKK von Achtsam bis Zuckerfrei gibt es dann im Oktober. Wir freuen uns schon auf euch. Bis dann.

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