Zählen Dienstreisen mit der Bahn zur Arbeitszeit?

Viele Arbeitnehmende nutzen die Bahn, wenn sie dienstlich unterwegs sind. Ob die Fahrtzeit als Arbeitszeit zu bewerten und entsprechend zu vergüten ist, lässt sich nicht immer klar beantworten. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat dazu ein aktuelles Urteil gefällt.

Oft wird die Zeit für eine Anreise als Arbeitszeit gewertet, wenn Mitarbeitende zum Beispiel am Vortag mit der Bahn in eine andere Stadt reisen und währenddessen mobil arbeiten. Wird die Reisezeit jedoch privat genutzt, gilt diese nicht als Arbeitszeit. Wird allerdings die tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden durch lange Zugfahrten überschritten, kann es zu Streitigkeiten kommen, die sogar vor dem Arbeitsgericht landen. Auch Reisen in überfüllten Zügen oder mit unterbrochener Internetverbindung werden von Arbeitgebern oft als Freizeit gewertet. Das kann Streitigkeiten nach sich ziehen.

Vor dem Gericht: Wann Reisezeiten als Arbeitszeit gelten

Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg ging folgender Fall voraus: Für ein Transportunternehmen, das unter anderem Sattelzugmaschinen überführt, reisen die Mitarbeitenden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Abholort, überführen das Fahrzeug anschließend zum Bestimmungsort und fahren von dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause. Das Unternehmen behandelte diese Hin- und Rückfahrten als Freizeit.

Die Gewerbeaufsicht gab dem Transportunternehmen vor, die Höchstarbeitszeiten einzuhalten – mit dem Hinweis, dass die An- und Abreisezeiten zur Arbeitszeit zu zählen seien. Diese Auffassung teilte das Unternehmen nicht: Die Beschäftigten seien während der Zugfahrten völlig frei in ihrer Zeitgestaltung, sie hätten lediglich ein „Freizeitopfer“ zu bringen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg entschied im Mai 2023 so: In anhängigen Fall sind Reisezeiten mit der Bahn als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu bewerten (VG-Urteil vom 02.05.2023, Az. 3 A 146/22). Die Begründung des Gerichts: Der Arbeitgeber bestimmt in diesem Fall über die Zeit seiner Beschäftigten, sie können über das Zeitfenster nicht selbst verfügen und sind damit in ihrer Freizeit eingeschränkt. Der Begriff „Arbeitszeit“ musste im vorliegenden Fall – abweichend von der üblichen Definition des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – nach europarechtlichen Grundlagen (Arbeitszeitrichtlinie) bestimmt werden. Nach Auffassung des BAG ist Reisezeit dann Arbeitszeit, wenn Arbeitnehmende über diese Zeit nicht frei verfügen können. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Arbeitgeber anordnet, dass seine Mitarbeitenden während der Zugfahrt mobil arbeiten sollen – oder sie zur Nutzung eines Fahrzeugs auffordern. Sitzen die Betroffenen dann am Steuer, können sie während der Fahrt nicht entspannen.

Im vorliegenden Fall konnten die Mitarbeitenden ihre Anreisezeit zwar im Prinzip frei gestalten, doch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs sei für die europarechtliche Begriffsdefinition allein entscheidend, ob der Mitarbeitende seinem Arbeitgeber zur Verfügung stehe, seine Tätigkeit ausübe oder Aufgaben wahrnehme. Und danach sei die Reisezeit mit der Bahn als Arbeitszeit zu bewerten. Bereits die regelmäßige mehrstündige An- und Abreise der Berufsfahrerinnen und -fahrer sei Teil der Arbeitsleistung und schränke ihre selbstbestimmte Zeitgestaltung ein. Hinzu kommt: Die Dauer der An- und Abreise hängt allein davon ab, wo die Beschäftigten das Fahrzeug abholen und hinbringen müssen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Ob die Spedition beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Berufung eingelegt hat, ist noch nicht bekannt.

Quelle: Haufe

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